6. Ortelsburger Heimatseminar: Engagement und Zukunftsorientiertheit   24. April bis 26. April 2015

Voll besetzt war der Preußensaal bei dem diesjährigen Heimatseminar der Kreisgemeinschaft Ortelsburg im Ostheim in Bad Pyrmont. Von den knapp 50 Teilnehmern waren zehn Besucher aus Masuren angereist.

In seinem einleitenden Referat referierte der Kreisvorsitzende Dieter Chilla über die Schwierigkeiten der „Nachgeborenen“, sich ein Bild über Lebensweise und Lebensraum der masurischen Vorfahren zu machen: Auch wenn dieses Bild notwendig ein Konstrukt bleiben muss, so eröffnet es emotionalen und intellektuellen Zugang zu den Menschen und der Geschichte Ostpreußens. Für den Referenten „eine starke, andauernde Motivation“ für eine langes und nachhaltiges Engagement für und in der Heimat seiner Vorfahren.

Zeitsprung: Dr. Manuel Ruoff, Redakteur bei der PAZ, ging in seinen Ausführungen 100 Jahre zurück und referierte über die Schlacht bei Tannenberg im 1.Weltkrieg. Mit Hilfe geschickt aufbereiteten Kartenmaterials gelang es ihm, das komplexe Kriegsgeschehen im südlichen Ostpreußen anschaulich und verständlich zu machen. Eine didaktische Meisterleistung des! Geschichtlichen Spuren folgten auch weitere Referenten: So stellte die Historikerin Angelika Müller Zusammenhänge zwischen dem Leben der Masuren in Ostpreußen und im Ruhrgebiet dar, wobei sie u. a. die Befragungen von Zeitzeugen (im Rahmen systematischer „oral history“) überzeugend verarbeitete.

Irmgard Irro ist einen besonderen Weg gegangen: Um die Lebensweise ihrer Vorfahren nachempfinden zu können, hielt sie sich einige Wochen in dem Heimatort ihrer Mutter auf: Sie verband dies mit intensiver historischer Feldforschung, die sie in ihren ausgesprochen lebendigen Vortrag einfließen ließ.

Marc Plessa, ein ausgesprochen sachkundiger Genealoge in der Kreisgemeinschaft Ortelsburg, stellte neue Ergebnisse zur Familienforschung unserer Region vor, die er mit methodischen Tipps für „Neueinsteiger“ auf diesem Gebiet verband.

Völkerverbindende Akzente setzte der Ortelburger Dialogkreis, in dem besonders engagiert unsere Freunde aus Ortelsburg aktiv wurden: Seit mehreren Jahren räumt diese Gruppe in ihrem Jahresurlaub Friedhöfe aus deutscher Zeit so auf, dass sie für Besucher wieder begehbar werden. In Pyrmont wurde die diesjährige Instandsetzung des Friedhofs in Langenwalde vorbereitet.

Ausgesprochen gegenwartsbezogen war der Vortrag von Professor Dr. Arkadiusz Letkiewicz, Dozent an der Polizeihochschule Szczytno: „Die Neuordnung der Polizei in Polen nach der Wende – eine Herausforderung.“ Anhand von Beispielen machte Professor Letkiewicz deutlich, wie die Umorganisation eines autoritären Apparates in eine demokratische Organisation gelang. Interessanter Aspekt: Führende Mitarbeiter der polnischen Polizei wurden an der Polizeihochschule im westfälischen Münster-Hiltrup fortgebildet. Zahlreiche organisatorische Strukturen der bundesdeutschen Polizei wurden auf die polnische Polizei übertragen.

Emotionale Momente: Zum Abschluss des Samstags wurde der polnische Film „Rosa“ vorgeführt (überwiegend im Kreis Ortelsburg mit regionalen Statisten gedreht), in dem dargestellt wird, wie ein polnischer Soldat und eine masurische Bäuerin nach Kriegsende versuchen, eine gemeinsame Existenz aufzubauen. Ein Versuch, der in den diktatorischen, chaotischen Zeitumständen scheitert: Am Ende gibt es auf deutscher und polnischer Seite nur Verlierer. Nach der Filmvorführung herrschte bei den Zuschauern Schweigen, tiefe Betroffenheit.

Sensibel und tiefgründig leitete Sabine Sinagowitz den Sonntagmorgen ein: In ihr geistliches Wort bezog sie auch das Schicksal ihrer masurischen Vorfahren ein. Ausgesprochen positiv waren die Reaktionen am Ende des Seminars. Dr. Manuel Ruoff: „Das war das berührendste Seminar, das ich in diesem Hause erlebt habe.“

Dieter Chilla

Fotos: Privat / Angelika Müller